Dienstag, 7. Oktober 2014

Häkellabor





Ein Interview mit mir für die Monatszeitung
„Dogma & Humor“ im September 2014
anläßlich der Ausstellung "Häkellabor"
im Museum Tuch + Technik http://www.tuch-und-technik.de
in Neumünster

Häkelforschung?

Labor und Häkeln – das passt doch gar nicht zusammen?

Die Kunst lebt von Kontrasten. Und ein Künstler ist ohnehin ein von Neugier Getriebener, der auf der Suche nach Antworten und großen Zusammenhängen ist. Da fühlt er sich bei den Wissenschaftlern im Labor sehr wohl.
Außerdem habe ich tatsächlich viele Arbeiten, die in kleinen Versuchsreihen aufgebaut sind. Was passiert zum Beispiel, wenn ich einen Kiefernzapfen in verschiedenen Häkelmustern und aus verschiedenen Materialien häkle? Was passiert, wenn ich ein immer gleich gehäkeltes Gummiquadrat verschieden dehne? Und was ergeben sich für Wettersituationen, wenn ich gehäkelte Wolken als Druckstock nutze und immer anders neben- und übereinander drucke?
Das Resultat sind Serien und Gegenüberstellungen, die wie Individuen in der Gruppe kommunizieren.

Was erforschen Sie da eigentlich?

Ach, das ist ganz einfach. Ich suche die Faustsche Urformel. Ich will die Welt verstehen.
Vielleicht schaffe ich es nebenbei ja auch noch Gold herzustellen.

Und an welchen Materialien forschen Sie im Moment?

Meine Forschungsprojekte zur Zeit sind vor allem Witterungsbeständigkeit, Elastizität, Wiederverwertbarkeit und Alltag.
Das heißt, mein Arbeitsmaterial besteht aus verschiedenen Absperrbändern, Plastiktüten, Müllsäcken, Draht, Gummiprofil und natürlich Wollresten in verschiedensten Qualitäten.

Woher stammen alle Ihre Materialien?

Besonders gerne benutze ich Materialien, die sonst keiner haben will.
So sind z.B. sehr viele Spulen von feinem Kupferdraht, den man zum Wickeln elektrischer Widerstände benutzt, beim Entrümpeln im Keller von Freunden aufgetaucht. Der Großvater war Elektroingenieur und Sammler.
Die Quelle des Polizeiabsperrbandes kann ich nicht nennen (gute Polizeikontakte!). Ich hab versprochen nur damit zu häkeln und nicht abzusperren.
Das Gummiprofil entsteht als Produktionsabfall bei der Herstellung von Autotürdichtungen (danke Saargummi!).
Und die ganzen Wollreste - die stammen hauptsächlich aus Nachlässen und erzählen allein dadurch schon Geschichten.
Der Grundgedanke ist: Alles, was lang und fadenartig ist, und sich nicht zu sehr wehrt, kann von mir verhäkelt werden.

Was machen Sie, wenn einmal ein Experiment fehlschlägt?

Aufziehen und von vorne beginnen. Ich hebe alle physikalischen Gesetzmäßigkeiten von Raum und Zeit auf.
Manche Lösungen sind das Ergebnis endloser Versuche. Manchmal aber küsst mich die Muse und es klappt auf Anhieb.

Besteht in Ihrem Häkellabor Explosionsgefahr?

Es ist natürlich oft sehr kritisch, ob das, was ich im Kopf habe, auch am Ende dem Ergebnis entspricht.
Deshalb droht mir manchmal der Kopf zu platzen, aber bisher sind weder Menschen noch Tiere zu Schaden gekommen.

Arbeiten Sie unter strengen Laborbedingungen? Und inwiefern sind Ihre Forschungsergebnisse in der realen Welt gültig?

Also, mein Labor ist nur in den ganz heißen Arbeitsphasen hermetisch von der Außenwelt abgeschlossen. Sonst öffne ich es gerne dem Leben und der Außenwelt. Das heißt, ich freue mich immer über Besuche und Bewegung, die neuen Schwung bringen. Gerade damit die Welt außerhalb meines Elfenbeinturmes auch Einfluss nehmen kann.
Auch meine Katzen helfen mir, und die halten sich nicht an die Laborhygiene.
Das heißt, die idealisierte Vorstellung des Künstlers, der Tag und Nacht seinen kreativen Impulsen in Ruhe und Abgeschiedenheit nachgehen kann, existiert nur in der Fantasie. Ich stehe mitten im Leben. Und das ist auch gut so.

Kann ein wissenschaftlicher Laie Ihren Versuchen folgen?

Wenn er neugierig ist und sich auf die Versuchsaufbauten einlässt. Ich will nur den Dingen auf den Grund gehen. Was Künstler und Wissenschaftler gemeinsam haben, ist der Blick auf einen kleinen Ausschnitt der Welt, den sie exemplarisch hervorheben und betrachten.
Meine Versuchsreihe unterliegt einer inneren Ordnung. Jedes Exponat ist einem Element (Erde, Feuer, Wasser, Luft) zugeordnet. Ich beginne mit der Schrift zur Aufzeichnung aller Erkenntnisse. Dann kommen Ordnung, Struktur und Wahrnehmung. Der Natur und ihrer Schönheit widme ich danach einige Arbeiten, bis leider durch die verbotene Frucht der Verfallsprozess einsetzt. Danach herrscht Unordnung und Zerstörung.
Aber dann beginnt erst die wirkliche Reise.

Sie machen jetzt seit 25 Jahren weiche Skulpturen. Wo sehen Sie den Unterschied zwischen Handarbeit und Kunst?

Handarbeit erfüllt einen Zweck. Entweder einen konkreten Nutzen oder zumindest einen dekorativen Wert. Die Kunst ist frei! Sie muss überhaupt keinen Zweck erfüllen - sie kann sogar hässlich und abstoßend sein. Sie hat einen ideellen Mehrwert und öffnet den Blick und den Geist.
Die Häkelkunst im ganz Speziellen hat noch zusätzlich die Tradition, Geschichte und Assoziationen der Handarbeit im Gepäck. Ich bin mir bewusst, dass Topflappen eine andere Geschichte in sich tragen, als z.B. ein Renaissancegemälde. Darüber hinaus ist die Häkelkunst eine weiche Variation der Bildhauerei. Sie ist haptisch erfühlbar. Nicht ohne Grund braucht es im Häkellabor speziell geschultes Aufsichtspersonal, wegen der hohen Fummelgefahr.

Was sehen Sie als den roten Faden in Ihrem Gesamtwerk?

Tatsächlich ist es mir in diesem Jahr zum ersten Mal passiert, dass ich auf mein Werk zurückschaue. Bisher war ich wohl eher damit beschäftigt voranzuhäkeln.
Im Rückblick wird deutlich, dass bestimmte Formensprachen und Themen immer wieder auftauchen.
Der Alltag ist und bleibt ein großes Rätsel für mich. Einerseits ihn durchzustehen, aber andererseits auch seine Geheimnisse und seinen Zauber zu sehen, zu verstehen und mich darüber zu erheben. Das kann die einfache Faszination von Alltagsgegenständen in ungewohntem Kontext oder Material sein.
Zunehmend kommt die Bewunderung für die Schöpfung im Allgemeinen, und die Natur im Besonderen dazu. Hat wahrscheinlich was mit dem Älterwerden zu tun.


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